Seit ein paar Wochen nennen einige von uns dieses Plenum hier nicht mehr „Hausversammlung im Rittersaal“, sondern kurz und knapp: die Ritterversammlung. Und das finde ich sehr passend. Ein Saal voller Ritterinnen im Einsatz für die eigene Ehre und Würde. Manche mit dicker Rüstung, manche mit „Kampf-Erfahrung“. Jedenfalls alle darin geeint, wieder in den Sattel zu steigen. Dabei werden Sie unterstützt und angeleitet von erfahrenen und sehr wohlwollenden Herzoginnen.

Liebe Herzoginnen,
lieber Mitritterinnen,

am 18.06. wurde ich auf Gut Zissendorf aufgenommen als XXX – irgendwie die Ex-Frau von ….
Die ersten Tage waren schwer. Gehöre ich hier hin? Habe ich überhaupt ein Recht, hier zu sein? Geht es mir wirklich schlecht genug, um eine solche Hilfe annehmen zu dürfen? Werde ich die Verbundenheit mit meinen Kindern verlieren?
Dann habe ich gedacht:
Ich gebe der Maßnahme eine Chance. Eine Woche halte ich durch und entscheide dann, ob ich bleiben will. Ja, ich wollte bleiben.
Im Laufe der Zeit habe ich verstanden, dass ich mit dieser Frist vor allem – vielleicht sogar ausschließlich – nicht der Maßnahme eine Chance gegeben habe, sondern mir selbst.
In den Therapien habe ich gelauscht und gefragt. Und manchmal schwer zu verdauende Antworten bekommen. Ich habe entdeckt, dass ich mit keinem Menschen so schlecht umgehen würde, wie ich mit mir selbst umgegangen bin.
Fast jeden Donnerstag hat sich in dieser Runde eine Ritterin verabschiedet. Oft voller Zuversicht und gestärkt haben sie von einer grundlegenden Veränderung erzählt.
Ich habe gezweifelt: Werde ich an diesem Punkt kommen? Werde ich wirklich eines Tages auch hier stehen und sagen können, es hat sich gelohnt und bleibt dran? Leiste ich dafür genug? Arbeite ich hart genug?
Und dann kamen die Game-Changer:
„Einsamkeit ist eine gelernte Empfindung. Sie kommt aus der und gehört in die Vergangenheit. Sie hat nichts mit dem Hier und Jetzt zu tun.“
„Gefühle dürfen nebeneinander stehen und hebeln sich nicht gegenseitig aus.“
„Es gibt schwarz und weiß. Und ganz viel dazwischen.“
„Ich darf zwei Väter lieben.!
„Ich trage keine Schuld und bin nicht schuldig.“

Und die Scheidung.
An dieser Stelle möchte ich mich von ganzem Herzen beim gesamten Team für die Unterstützung bei der Identitätssuche, die für mich maßgeblich mit meinem Nachnamen in Zusammenhang steht. Ihre Bereitschaft, mich bei meinem neuen alten Namen zu nennen hat buchstäblich mein Leben verändert, meinen Blick auf mich. Im Besonderen möchte ich – trotz ihrer Abwesenheit – meiner Bezugstherapeutin danken. Ich durfte mit ihr einen schmerzhaften, intensiven, anstrengenden und gleichzeitig bereichernden uns sehr humorvollen Weg gehen. Eine perfekte Mischung für mich.
Was also will ich Euch heute sagen? Es lohnt sich. Bleibt dran. Und vor allem: macht den Deckel auf. Zeigt Euch und schaut Euch an. Heute bin ich mir sicher, dass ihr genauso wenig wie ich ein Monster vorfinden werdet, sondern vielmehr eine wahrscheinlich verletzte und sicher sehr liebenswerte Frau.
Am Montag werde ich aus Gut Zissendorf entlassen. Voller Dankbarkeit, Stolz, Tatkraft und mit einer gesunden Portion Respekt werde ich durch das eiserne Tor gehen mit meinem Mädchennamen.